MEP Lukas Mandl über die Weiterentwicklung der EU-Institutionen, die Stellung des Europäischen Parlaments und die Hearings zur neuen EU-Kommission

Wo liegen Ihre Kernkompetenzen und welche Themen finden bei Ihrer Arbeit im Europaparlament besondere Aufmerksamkeit (Ausschüsse etc.)?

Ich arbeite für ein Europa mit mehr Stärke nach außen und mehr Freiheit nach innen. So bin ich Vollmitglied in allen drei außenpolitischen Ausschüssen – in jenen für Äußeres, für Sicherheit und Verteidigung, sowie für Entwicklungszusammenarbeit. Im Sicherheits- und Verteidigungsausschuss bin ich als einer der stellvertretenden Vorsitzenden tätig. Für uns Europäerinnen und Europäer ist es wichtig, dass man sich nicht über uns hinwegsetzt in Fragen der globalen Entwicklung, sondern wir als gewichtiger Faktor geachtet werden. Das hat große Bedeutung für eine Reihe von Themen, von Menschenwürde über Freiheitsrechte bis zu Wirtschaft und Wohlstand, und auch etwa dafür, dass sich das europäische Verständnis, dass die Menschheit dem Klimawandel entschlossen begegnen muss, durchsetzen kann. Darüber hinaus bin ich als Ersatzmitglied im Arbeitsmarkt-Ausschuss tätig. Hier entscheidet sich, ob wir es durch Bildung und Arbeit schaffen, den Wohlstand Europas zu erhalten, ohne die soziale Sicherheit zu reduzieren, während andere Teile der Welt immer mehr Wohlstand aufbauen. Ich will mehr Chancen und weniger Regulierung auf Europas Arbeitsmärkten. Ich sehe die negativen Folgen von Lohn- und Sozialdumping auf allen Seiten und möchte dazu beitragen, dass die Arbeits- und Lebensstandards in Europa sich nach oben hin angleichen.


Was sind Ihre Eindrücke aus den Hearings in Bezug auf die neue Europäische Kommission, worauf haben Sie persönlich in den Fragestellungen Wert gelegt?

Ich habe an den Hearings mit dem Kandidaten für den Außenkommissar, den hohen Ratsbeauftragten für Äußeres, Josep Borrell, sowie mit der Kandidatin für Entwicklungspolitik, Jutta Urpilainen, und dem Kandidaten für Krisenmanagement, Janez Lenarcic, teilgenommen. Ich werde jedenfalls noch am Hearing des neuen Kandidaten für das Ressort der Nachbarschaftspolitik teilnehmen. Außerdem habe ich an der Vorbereitung der mündlichen Fragestellungen der Fraktion der Europäischen Volkspartei an die für den Arbeitsmarkt wichtigsten Kommissions-Kandidatinnen und -Kandidaten mitgewirkt. Ich habe zunächst darauf Wert gelegt, dass in den Hearings eine echte Interaktion zustande kommt, und wir als Parlamentarierinnen und Parlamentarier im Namen der Bevölkerung, die wir vertreten dürfen, in den verbalen und non-verbalen Signalen authentische Bilder davon bekommen, mit wem wir es zu tun haben. Mir war es wichtig, dass die Kandidatinnen und Kandidaten tatsächlich auf die mündlichen Fragen und Nachfragen eingehen, und nicht einfach technische Antworten geben, die auch in schriftlichen Fragen und Beantwortungen möglich waren und entsprechend genützt wurden.

Bei Borrell habe ich aufmerksam zugehört, wie er mit der langen Liste an Themen, in denen er in der Vergangenheit andere Positionen vertreten hat als die Bürgerinnen und Bürger Europas, die durch das Europa-Parlament vertreten werden, umgeht. Er wollte offenbar den Eindruck vermitteln, sich dessen bewusst zu sein, dass er als Außenrepräsentant der EU nicht im eigenen Namen agieren darf, sondern im Namen von uns Europäerinnen und Europäern agieren muss. Ich werde sehr aufmerksam parlamentarisch beobachten, ob er das auf Dauer in die Praxis umsetzt. Und ich werde die Arbeit von Borrell bestmöglich parlamentarisch begleiten, um dem Ziel, ein Europa mit mehr Stärke nach außen im Sinne der europäischen Werte zu schaffen, treu zu bleiben. Im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit ging es mir besonders um die wirtschaftliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe, also die Hilfe zur Selbsthilfe, sowie um Bildung und Rechtsstaatlichkeit, die grundlegend sind dafür, dass Wohlstand wachsen kann. Im Bereich des Krisenmanagement habe ich darauf verwiesen, dass Europa in diesem Bereich besondere Präsenz zeigen muss, weil in anderen Bereichen – wie etwa im militärischen Bereich – noch unverhältnismäßig viel Aufholbedarf besteht. Bei der Nachbarschaftspolitik geht es mir um den Integrationsprozess für die sechs Staaten des Westbalkan, der in vielerlei Hinsicht über Wohl und Wehe der Zukunft Europas entscheidet. Für die Arbeitsmärkte waren und sind mir die Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping sowie der Bereich Bildung – mit besonderem Fokus auf die dualen Ausbildungssysteme – und die Schaffung von Chancen durch Deregulierung und Mobilität besonders wichtig.

Insgesamt ist mein Eindruck, dass es das Europa-Parlament in den Hearings geschafft hat, der zukünftigen Kommission einige wichtige programmatische Leitlinien mitzugeben. Es wird wichtig sein, Tempo und Nachhaltigkeit der Arbeit der EU-Kommission immer wieder einzufordern.


Wie beurteilen Sie die Stellung des Europäischen Parlaments innerhalb der EU Institutionen und was würden Sie sich für die Zukunft des EU Parlaments wünschen? 

Es darf nicht mehr passieren, dass sich eine krasse Minderheit im Europäischen Rat über ein Ergebnis einer Wahl zum Europäischen Parlament hinwegsetzt und damit die gesamte Entwicklung der EU zu blockieren droht, wie es bei der Entscheidung über die Kommissionsspitze und die anderen Spitzenfunktionen nach der vergangenen Europa-Wahl passiert ist. Besonders in Kontinentaleuropa muss es sowohl an den Spitzen der Verwaltungen als auch in der breiten Bevölkerung mehr Bewusstseinsbildung für die Bedeutung und die Funktionsweise des Parlamentarismus geben. Der Parlamentarismus ist eine der großen Innovationen der Menschheit. Er bedeutet, dass nicht eine Obrigkeit mit Gewalt bestimmt, wie wir miteinander leben, und dass das auch nicht von der Gewalt der Straße entschieden wird, sondern durch auf Zeit gewählte Abgeordnete, die nicht für sich selbst sprechen und handeln dürfen, sondern für jene sprechen und handeln müssen, die sie zu vertreten haben.

Um diesen Grundsätzen Rechnung zu tragen, müssen die Funktionsweise der EU-Institutionen und auch die Abläufe im Europäischen Parlament weiterentwickelt werden. Das betrifft unter anderem die Größe der EU-Kommission, die Zahl der obligatorischen Einstimmigkeits-Materien im Rat und die Möglichkeiten des Europäischen Parlaments, die Arbeit der Kommission zu steuern und zu kontrollieren.


Ein Blick in die Zukunft: Wo sehen Sie die Herausforderungen, Gefahren, aber auch Chancen für die Europäische Union in den nächsten Jahren?

Die große Gefahr ist, dass wir uns nach innen verkrampfen und nach außen schwach bleiben oder noch schwächer werden. Immer mehr Regulierung nach innen ist gefährlich. Als überzeugter Liberaler halte ich mich an den Montesquieu’schen Grundsatz, der da lautet: „Wenn es nicht nötig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es nötig, kein Gesetz zu machen.“ Die EU verstößt gegen diesen Grundsatz viel zu oft, und schenkt ihrem eigenen Außenauftritt – der Rolle und der Kraft von uns Europäerinnen und Europäer als Teil der Menschheitsfamilie! – viel zu wenig Aufmerksamkeit. Hier müssen wir den Turnaround zu mehr Freiheit nach innen und mehr Stärke nach außen schaffen.

Das gute Miteinander von ländlichen Räumen und urbanen Zentren gehört zu den Stärken Europas. Zu viel Zentralismus gefährdet das. Der Wohlstand Europas beruht auf Innovation und harter Arbeit, in einem Rahmen von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Wenn wir durch Überregulierung Innovation anderen Teilen der Welt allein überlassen und den Zusammenhang von harter Arbeit und Wohlstand, zu dem auch etwa Gesundheitssysteme und Zukunftschancen für die jungen gehören, unterschätzen, laufen wir ebenso Gefahr, zurückzufallen, wie wenn wir es mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nicht immer ganz genau nehmen. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gehören zu den großen Versprechen der EU an die eigenen Bürgerinnen und Bürger nach innen sowie an die ganze Welt nach außen. Hier darf es nie Kompromisse geben. Entschlossenheit ist gefragt.

Meine ersten Eindrücke von den Vorbereitungen der designierten Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen machen mich zuversichtlich, dass diese Aufgabenfelder von ihr ähnlich gesehen werden. Das Verständnis, dass mehrere Kommissionsmitglieder sich in einem „Außenpolitik-Cluster“ um die Außenwirkung Europas kümmern sollen, und dass auch hier die Kommissionspräsidentin selbst an der Spitze steht, nähren diese Zuversicht. Und noch viel wichtiger scheint mir, dass im neu gewählten Europa-Parlament mit vielen neuen Abgeordneten auch eine pragmatische Unbefangenheit und ein Wille, vorwärts zu arbeiten, zu erkennen sind. Ideologische Barrieren, die immer lähmend sind, sind nach der Wahl weniger präsent als vorher. So kann man arbeiten. Überhaupt ist das Europäische Parlament, das als einzige EU-Institution direkt gewählt ist und nicht die Verwaltung vertritt, sondern die Bürgerinnen und Bürger gegenüber der Verwaltung vertritt, in fast allen Fragen schneller und klarer als die anderen Institutionen, es kann und soll den Takt in den genannten und vielen anderen Themenfeldern vorgeben.