Friedhelm Frischenschlager, österreichischer Verteidigungsminister a. D. und ehemaliger EU-Parlamentarier im Gespräch

D: Herr Frischenschlager, wie war die Kooperation auf internationaler, speziell europäischer Ebene, zu der Zeit der achtziger Jahre in der Sie als Verteidigungsminister für Österreich tätig waren? Welche Tools gab es, welche Formate konnten Sie nutzen?

F: Es war damals, bezogen auf Europa, ein rein außenpolitisches Thema, eine Frage der internationalen Beziehungen. Wir hatten nur die traditionellen Mittel wie Besuche, bei Nachbarn etc. und keine transnationalen Strukturen zur Verfügung. Es gab natürlich auch damals schon die Verträge mit der Europäischen Union, damals ja noch Europäische Gemeinschaft bzw. Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, das war ja alles vor dem Maastricht und Lissabon-Vertrag. In Österreich kam noch speziell hinzu, dass damals die Neutralitätspolitik noch wirklich ein Thema war, und zwar nicht nur propagandistisch in der Öffentlichkeitsarbeit, sondern sie hatte auch einen realen Gehalt, es gab ja zu dieser Zeit als ich Verteidigungsminister war noch immer den Kalten Krieg. Ich habe daher Besuche gemacht und war in engen Kontakt mit den Militärattachés.

D: Jetzt möchte ich gleich dann noch ein paar Jahre nach vorne gehen: Sie waren ja auch Abgeordneter im Europäischen Parlament. Was hat sich inzwischen verändert? Wie bewerten Sie die Bedeutung des EU-Parlamentariers im Vergleich zwischen den neunziger Jahren und jetzt?

F: Ich war zwischen 1996 und 1999 im Europäischen Parlament. Das war bereits nach dem Vertrag von Maastricht, wir waren also bereits in der Politischen Union und daher war die Rolle des Europäischen Parlaments schon sehr stark. .

Allerdings war das noch vor den großen östlichen Erweiterungsrunden: Diese haben natürlich Europa stark verändert, weil es viel breiter wurde und daher auch vielfältiger und weniger konsistent. Heute ist das Europäische Parlament als Mitentscheider in fast allen Angelegenheiten, mit Ausnahme der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik wo es nur geringe Mitsprachemöglichkeit hat. Aber sonst, in der Gesetzgebung, in der Rechtsetzung, gibt es eigentlich fast nichts mehr was nicht auch die Zustimmung des Europäischen Parlaments braucht. Zusammengefasst kann man sagen, es gibt mehr Kompetenzen und es wurde vielfältiger.


D: Sie haben die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik angesprochen. Das ist ja bereits seit vielen Jahren eines ihrer Spezialgebiete. Wo sehen Sie da die größten Herausforderungen der Europäischen Union in den nächsten Jahren?


F: Da möchte ich auf die neunziger Jahre zurückkommen. Man muss sich vorstellen, dass, als wir Österreicher beigetreten sind, zusammen mit zwei anderen Neutralen, die Zurückhaltung z.B. von Frankreich sehr groß war, weil man sah die Europäische Union damals als fixen Bestandteil der westlichen bzw. transatlantischen Sicherheitspolitik. Vor allem Frankreich hat bei den neutralen Beitrittsländern die Gefahr gesehen, dass diese Perspektive verwässert wird. Das hat auch dazu geführt, dass diese drei Länder, mit unterschiedlichen Neutralitätstraditionen, den Maastrichter Vertrag akzeptiert haben, welcher mit der zweiten Säule der gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik erstmals mit einer Perspektive in Richtung gemeinsamer Verteidigung versehen war.

Wenn wir in die Gegenwart übersiedeln, ist einerseits die Kompetenzlage im grundsätzlichen gleich geblieben, der Vertrag von Lissabon hat aber schon auch eine Veränderung gebracht, mit dem Europäischen Auswärtigen Dienst hat die Außenpolitik mehr Substanz innerhalb der EU bekommen. Wenn wir jetzt Großbritannien bereits als ausgeschieden betrachten, sind zwar noch immer 21 EU-Mitgliedsstaaten zugleich NATO-Mitglieder , also leben mehr als drei Viertel der EU-Bevölkerung in NATO-Ländern, aber es hat sich insofern alles völlig verschoben, dass einerseits der Kalte Krieg eben nicht mehr existiert und auf der anderen Seite die transatlantische Kooperation seit Trump massiv unter Druck steht.

Die strukturelle Zusammenarbeit hat sich weiterentwickelt, zu nennen wäre hier PESCO, wo man sich bemüht auf militärischem Gebiet stärker zu kooperieren, aber insgesamt ist kein grundsätzlicher Durchbruch gelungen. Es gibt zwar den Nukleus einer „Europäischen Armee“, das sind die European Battlegroups, aber da sprechen wir von minimalen Größen, noch dazu sind diese nie wirklich zu einem Einsatz geschickt worden. Der Bedarf an der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist aber durch Trumps Position zu Europa und durch die Situation in der Ukraine, in Nahost und Nordafrika dramatisch gestiegen. Da wir uns nicht mehr auf Amerika verlassen können, müssen wir selbst mehr tun. Dabei muss man aber auch erwähnen, dass Verteidigung eine Prärogative nationaler Politik ist, daher ist die politische Zurückhaltung sehr groß.

Die NATO beruht mindestens zur Hälfte auf den USA, wenn diese sich zurückziehen, schaut die europäische Sicherheitssituation dramatisch aus, und daher ist es wichtig, den Fokus auf die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu legen. Merkel hat gesagt, wir müssen mehr für unsere eigene Sicherheit tun, dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Aber das dauert, wie alles im militärischen Bereich, sehr lange dauert. In Österreich ist noch mehr Dramatik in diesem Thema, weil wir einen Rückfall haben in die traditionelle Sicherheits- und Verteidigungspolitik, wie vor 1989, was völlig absurd ist, weil wir umgeben sind von NATO-Ländern bzw. Liechtenstein und der Schweiz. Österreichs Sicherheit beruht auf der europäischen Sicherheit, also, wenn das Territorium der Europäischen Union gesichert ist, sind wir sicher. Und daher müssen wir einen Beitrag leisten, es ist absurd wenn wir sagen, „wir sind jetzt die zweite Schweiz, das ist militärisch und vor allem politisch, als EU-Mitglied, völlig unnsinnig. Da ist eine starke mentale Fragestellung in Österreich gegeben, mit der Hochjubelung der Neutralität zu einer Identitätsfrage Österreichs.


D: Sie haben vorhin den Brexit angesprochen. Würden Sie sagen, dass wir in Gefahr sind oder sind wir immer noch in Gefahr, dass sich das Brexit-Beispiel wiederholt, in anderen EU-Mitgliedsstaaten?


F: Glaube ich nicht. Ich denke, das ist eine derartige Schauergeschichte, vor allem für Großbritannien, dass es selbst hier in Österreich, wo wir eine über die Freiheitliche Partei eine starke Tendenz zu einem Brexit gehabt haben, diese Idee nicht mehr verfolgt wird. Das liegt daran, dass wir sehen, dass es dramatische Auswirkungen hat und für uns in Bezug auf die wirtschaftliche und politische Situation noch dramatischer wäre als für Großbritannien. Ähnliches konnten wir ja auch in Italien beobachten wo wir es ja mit einer extrem populistischen Regierung unter Salvini zu tun hatten. Bei David Cameron war das Problem, dass er einerseits jahrelang populistisch gegen die EU gehetzt hat und dann, beim Referendum plötzlich gemeint hat, „wäre gut wenn wir blieben“. Grundsätzlich glaube ich, dass bei Bestrebungen zu einem „Exit“, sich in den Mitgliedsländern massiver Widerstand formieren würde.

 

 

D: Sie haben immer noch einen vollen Terminkalender. Können Sie uns ein paar Eckpunkte darüber erzählen, was Sie derzeit so machen?

F: Nach meiner Rückkehr in das „normale Leben“, 2001 habe ich der Parteipolitik ja an sich den Rücken zugekehrt und mich einem internationalem Jahrzehnt gewidmet. Zunächst ging ich für drei Jahre für die OSZE in den Kosovo und war dort als „Director of the department of democratization“ mit Parlamentsaufbau, Parteienaufbau, local governments etc. indirekt zu tun gehabt. Und danach war ich noch weitere sieben Jahre im Kosovo tätig und hatte eine Position im öffentlichen Rundfunk als Mitglied des Board of Directors. Diese Tätigkeit übte ich aufgrund meiner Erfahrung im ORF Kuratorium und der Medienpolitik, allerdings war ich dann nur noch einige Tage pro Monat in Pristina.

Nach meiner Rückkehr aus dem Kosovo war ich von 2001 bis Anfang 2004 Generalsekretär der Union Europäischen Föderalisten in Brüssel, eine sehr traditionsreiche zivilgesellschaftliche europäische Bewegung, die auf Spinelli zurückging. Das war der erste Föderalist, mit einer hochinteressanten persönlichen Geschichte, in Brüssel ist ein Parlamentsgebäude nach ihm benannt. Die Europäischen Föderalisten verfolgen ein föderalistisches, bundesstaatliches Konzept, die Vereinigten Staaten von Europa kommen aus dieser Richtung. Die Grundidee ist, man muss zu einer europäischen Verfassung kommen mit, wo ganz nach dem Subsidiaritätsprinzip, natürlich wichtigere Aufgaben auf europäischer Ebene gelöst werden und der Rest ist natürlich Kompetenz der Mitgliedsstaaten bleibt. 


Nach der Vereinigung von Liberalen Forum und Neos bin ich natürlich Bestandteil der Neos geworden und bin seither im Hintergrund tätig, eher beratend, eine offizielle Funktion habe ich aber auch: Die NEOS die Parlamentsfraktion hat mich in die entsandt in die parlamentarische Bundesheerkommission entsandt, diese offizielle Funktion macht mir viel Freude. Dort habe viel mit Sicherheitspolitik zu tun, berate ich NEOS auch in Europapolitik und manchmal in der Verfassungspolitik.